Mit dem Jahrgang 2011 geht die Zeitschrift »Navigationen«, die von 2005-2010 vom DFG-Forschungskolleg 615 »Medienumbrüche« herausgegeben wurde, wieder zurück an das medienwissenschaftliche Seminar der Fakultät 1 der Uni-versität Siegen. Die Navigationen soll wie bisher zweimal im Jahr erscheinen. Aktuelle Forschungen aus dem Team Medienwissenschaft, sei es von Professoren, Mitarbeitern oder aus studentischen Projekten, werden veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Auf diese Weise wird die lebendige Diskussions- und Forschungskultur der Siegener Medienwissenschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Das vorliegende Heft widmet sich einem Thema, das in den letzten Jahren zunehmend relevanter wird: der Umrüstung des Kinobetriebes von Zelluloidprojektion auf High Definition Videoprojektion. Was vor einigen Jahren noch wie ein spezieller Sonderweg gewirkt haben mag, ist heute bereits Realität geworden. Umso erstaunlicher mutet der Umstand an, dass es zwar eine Menge an Publikationen zum Phänomen der Digitalisierungen, des ›digital roll-out‹, gibt, nicht jedoch eingehende Analysen der langsamen Veränderung filmischer Ästhetik in der letzten Dekade. Die vorliegende Ausgabe von Navigationen möchte diese Lücke nachhaltig schließen.
Die Auseinandersetzung mit der hochauflösenden Filmästhetik erfolgt in einer schrittweisen Annäherung. Zunächst bietet Helmut Schanze grundlegende Überlegung zur Bedeutung von High Definition-Formaten und den damit zusam-menhängenden Veränderungen. Jens Schröter erläutert exemplarisch den Status des Diskurses der ›hohen Auflösung‹ für die Frage nach dem Bild und den Be-trachtern – und welche grundlegenden Optionen und Probleme sich daraus für eine Medienästhetik hoher Auflösung ergeben.
Marcus Stiglegger rekapituliert die Geschichte des ›digital roll-out‹ in der Filmproduktion und -distribution und kommt abschließend auf unterschiedliche Filmstile zu sprechen, die im High Definition Cinema inzwischen etabliert wurden: Vom Hyperrealismus zur cgi-manipulierten hochauflösenden Simulation von Phantasieräumen. Im Detail untersucht der Mainzer Filmwissenschaftler Ivo Ritzer den Umgang des amerikanischen Genre-Regisseurs Michael Mann mit dem hochauflösenden Format, dessen Spezifika der experimentierfreudige Filmemacher in Filmen wie Miami Vice oder Public Enemies bis an die Grenzen auslotet.
Der Münchner Kulturwissenschaftler Jörg von Brincken wirft einen Blick auf ästhetische Veränderungen anderer Art: Er untersucht die Auswirkungen hochauflösender Bilder auf die Produktion von pornografischen Filmen, deren Körperbild unter dem gesteigerten Hyperrealismus neue Strategien der Darstellung erkunden musste. Und abschließend widmet sich Benjamin Beil den Verpixelungseffekten in hochauflösend produzierten Filmen und Computerspielen.
Das Kaleidoskop dieser Texte ermöglicht einen umfassenden Einblick in den filmspezifischen Aspekt der voranschreitenden Digitalisierung des Medienbetriebes und liefert differenzierte Antworten auf die Frage: Welche Auswirkung haben die technischen Veränderungen auf die ästhetische Gestaltung der Artefakte?