›Implizites Wissen‹ ist im Kontext kritischer medienhistorischer und sozialer, politischer und ästhetischer Interfacebetrachtungen, wie sie Andersen/Pold (2011), Galloway (2012), Chun (2013), Hookway (2014) und Hadler/Haupt (2016) fordern, von elementarer Bedeutung. Meist in Relation zum menschlichen Körper formuliert, ist implizites Wissen für das Gelingen von Wahrnehmung und Handlungen eine wesentliche Bezugsgröße, die sich als »stummes« Wissen nur schwer formalisieren lässt (Polanyi 1966 [1985]). Zu bedenken ist dabei jedoch, dass implizites Wissen durch Gesellschaft und Kultur vermittelt wird. Über das körperliche Wissen hinaus schließt der Begriff soziales Regel- und Beziehungswissen genauso ein wie kollektive Formen des Wissens, die nicht exklusiv auf ein Individuum zurechenbar sind, sondern innerhalb von Gemeinschaften zirkulieren (Collins 2010). Begreift man Interfaces vor diesem Hintergrund als Orte komplexer Vermittlungsleistungen zwischen Mensch, sozialer Realität und zunehmend allgegenwärtigen computerbasierten Mediensystemen, gewinnt die Frage nach der Beziehung von Interfaces zu implizitem Wissen auf verschiedenen Ebenen an epistemologischer Relevanz und kritischer Bedeutung: Wie ist das Verhältnis von digitalen Interfaces, embodiment und sozial vermitteltem implizitem Wissen ausgestaltet? Inwieweit sind Erkenntnisprozesse in Interfaces externalisiert? Welche Ordnungen der (Un-)Sichtbarmachung impliziten Wissens prägen Interfaces? Welche impliziten und medienlogischen Prozessarchitekturen stecken in Interfaces? Welche Probleme der Zugänglichkeit, des Aufbewahrens und Speicherns impliziten Wissens eröffnen sich im Diskurs um Interfaces? Wie sind Interfaces an Kategorisierung und Formalisierung von implizitem Wissen beteiligt? Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Interfaces und dem Wissen um ihre Nutzungsmöglichkeiten? Wie formieren und transformieren sich Kulturtechniken? Welche Bedeutung hat das Zusammenspiel von Interfaces und implizitem Wissen für die historische und aktuelle Betrachtung von Medientechnologien?
Das Konzept des Workshops sieht Impulsvorträge mit längeren Diskussionszeiten vor. Geplant sind Impulsreferate, die konkrete Fallbeispiele bzw. Materialstudien mit einem Angebot zur Theoretisierung des Verhältnisses von Interfaces & implizitem Wissen verbinden.
Datum: 09. Juni 2017, Ort: Bonn
Veranstaltungsort:
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Festsaal im Hauptgebäude, Am Hof 1, 53113 Bonn
Veranstalter: AG Interfaces in Kooperation mit der Abteilung Medienwissenschaft
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Organisation: Christoph Ernst, Regina Ring
Anmeldung: bei Christoph Ernst cernst@uni-bonn.de und Regina Ring rring@uni-bonn.de
Programm:
9:15 - 09:30 Uhr Einführung
Christoph Ernst & Regina Ring – Begrüßung Universität Bonn
Timo Kaerlein & Sabine Wirth – Zum Stand der AG Interfaces
Jan Distelmeyer – Zum Stand der Interface-Forschung
09:30 - 11:00 Uhr Praxis, Lebensform und Technologie (Chair: Regina Ring)
Jan Distelmeyer: Vorsehung. Annahmen der Computerisierung
Christoph Ernst: Relevante Interfaces – Implizites Wissen als Schnittstelle zwischen Interfacetheorie und Kognitionswissenschaft
Sabine Wirth: ›Tap, Scroll, Swipe‹ – Don Ihdes Konzept der ›embodiment relations‹ diskutiert am Beispiel ubiquitärer Touch-Gesten
11:00 - 11:30 Uhr Kaffeepause
11:30 - 13:30 Uhr Interaktion, Verteilung und Formalisierung (Chair: Timo Kaerlein)
Regina Ring: Embodied Knowledge – Zum Interface-Effekt von intelligenter Kleidungund Wearables
Andreas Bülhoff: Interfacetransformation zweiter Ordnung. Textsequenzierung und Lesegestik im postdigitalen Spiegel
Dawid Kasprowicz: Fühlen und Führen-Lassen: Intuition in Mensch-Roboter-Kollaborationen
Thomas Bächle & Peter Regier: Sensor und Sinnlichkeit – Interfaces und die Explikation impliziten Wissens in der humanoiden Robotik
13:30 - 15:00 Uhr Lunchbreak
15:00 - 16:30 Uhr Design, Erfahrung und Ästhetik (Chair: Christoph Ernst)
Timo Kaerlein: ›Walking for Design‹. Die Rolle von implizitem Wissen im Interaction Design für die mobile Mediennutzung
Daniel Bühler: WICHTIG IST GROSS, MEHR IST OBEN: Primärmetaphern als Quelle intuitiv und universell verständlicher Interface-Piktogramme
Mirco Limpinsel: Erkenntnissteuernde Elemente in digitalen Interfaces
16:30 - 17:00 Uhr Gemeinsame Abschlussdiskussion